- Einleitung
- Inklusion am GSG – Konzeptionelle Basis und bisherige Erfahrungen
- Integrative Klassen / Gemeinsames Lernen seit dem Schuljahr 2013/2014
- Das GSG auf dem Weg zu einer inklusiven Schule – Die Arbeit der Offenen Expertengruppe Inklusion
- Nachteilsausgleich als Instrument der inklusiven Schule
- Auszeichnung mit dem Jakob Muth - Preis 2016
- Grundlage: Die UN-Behindertenrechtskonvention
- Inklusion und Bildung – Begriffsklärungen
- Inklusion und Bildung in Deutschland - Allgemeines
- Inklusion und Bildung in Deutschland – Realität und Perspektiven
- Gymnasium und Inklusion – ein Widerspruch in sich?
- Inklusion an Gymnasien in NRW – die Vorgaben der Landesregierung
- Ausblick
- Links und Downloads, Literaturempfehlungen
Überblick
Aktuelles, Termine, Veranstaltungen
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Inklusion am GSG – Einleitung
Auf dieser Seite berichten wir ausführlich über die Entwicklung des GSG auf dem Weg hin zu einem inklusiven Gymnasium. Seit 2013 ist dies eines der zentralen Entwicklungsvorhaben der Schule. Inklusion in einem weit gefassten Verständnis bedeutet für uns die Wertschätzung von Vielfalt und Individualität in allen schulischen Arbeitsfeldern. Inklusion in diesem Sinne heißt für uns, die Unterschiedlichkeit der Menschen als Grundvoraussetzung und zugleich als Chance für die Bildung und Erziehung junger Menschen an einem Gymnasium zu sehen. Konkret bedeutet dies, allen Schülerinnen und Schüler, die an unserer Schule aufgenommen werden, die best mögliche Förderung teilwerden zu lassen. Dies schließt auch diejenigen ein, die als Schülerinnen und Schüler mit einem festgestellten sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf am GSG lernen. Einbezogen sind ebenfalls die Kinder und Jugendlichen aus zugewanderten Familien, die eine der am GSG eingerichteten Sprachfördergruppen besuchen.
Mit dieser Seite möchten wir ...
- ... alle an der inklusiven Schulentwicklung des GSG interessierten Personen über die aktuellen Termine in diesem Bereich informieren,
- ... einen Überblick über die bisherigen Erfahrung mit Inklusion am GSG und die entsprechenden pädagogischen Konzepte geben,
- ... über die Arbeit in den Lerngruppen des Gemeinsamen Lernens berichten,
- ... die Arbeit der Offenen Expertengruppe Inklusion vorstellen,
- ... die Praxis der Arbeit mit dem Nachteilsausgleich erläutern,
- ... davon erzählen, dass das GSG im Jahr 2016 mit dem Jakob Muth - Preis für inklusive Schulentwicklung ausgezeichnet worden ist,
- ... einen allgemeinen Überblick über die Grundlagen der Inklusion (UN-Behindertenrechtskonvention, Situation in Deutschland) geben,
- ... die spezielle Situation der Inklusion an Gymnasien in NRW thematisieren und
- ... Empfehlungen für interessante bzw. wichtige Literatur und Links zum Thema inklusive Schulentwicklung geben.
Wir wünschen viel Spaß beim Lesen und Surfen und freuen uns über Kritik, Lob und Anregungen: buero@scholl-gymnasium.de.
Inklusion am GSG – konzeptionelle Basis und bisherige Erfahrungen
Am GSG gibt es mittlerweile umfassende Erfahrungen mit individueller Förderung und Beratung, mit Krisenintervention und mit professioneller Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf oder solchen, die sich in krisenhaften Situationen befinden. So beinhaltet das Konzept für Individuelle Förderung besondere Angebote im Rahmen der Profilkurse in den Stufen 7 bis 9. Eine Reihe besonderer Fördermöglichkeiten bestehen für besonders begabte bzw. leistungsfähige Schülerinnen und Schülern.
Im Beratungskonzept der Schule sind die verschiedenen Möglichkeiten der internen bzw. externen professionellen Beratung und Begleitung bei Konflikten, Lernschwierigkeiten, psycho-sozialen Problemen oder in krisenhaften Situationen festgehalten.
Im Fachunterricht wird in bestimmten Fällen bei der Leistungsüberprüfung und –bewertung das Instrument des Nachteilsausgleichs angewendet, etwa bei Lese-Rechtschreibschwäche, bei Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsdefiziten, bei längerfristigen Erkrankungen oder bei dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Im Rahmen der Erstellung des Leistungskonzepts ist hierzu der Leitfaden Nachteilsausgleich entwickelt worden (Genaueres s. u.).
Zusätzliche Fördermöglichkeiten bietet der gebundene Ganztag mit den freien Lernzeiten (EVA, Blaue Lernzeit), in denen Pädagoginnen und Pädagogen sich intensiver und gezielter als im Fachunterricht mit einzelnen Schülerinnen und Schülern beschäftigen können. Trotz dieser Maßnahmen müssen auch am GSG immer wieder Schülerinnen und Schüler eine Klassenstufe wiederholen, auch wenn der pädagogische Nutzen des Wiederholens mittlerweile durch zahlreiche Studien in Frage gestellt wird. Durch die genannten Maßnahmen kann bislang auch nicht vollständig verhindert werden, dass Schülerinnen und Schüler vor Erreichen des mittleren Schulabschlusses die Schule verlassen und zu einer anderen Schulform, meist zur Realschule, wechseln. Der Anteil dieser Schülerinnen und Schüler an der Gesamtschülerzahl liegt bei etwa 1,5% pro Jahr.
Ein wichtiger Schritt zur Förderung von Kindern und Jugendlichen in besonderen Situationen bzw. mit spezifischem Förderbedarf war die Kooperation mit dem Kompetenzzentrum für sonderpädagogische Förderung Pulheim (KsF) / Schule an der Jahnstraße in Pulheim-Brauweiler. Im Rahmen dieser Kooperation wurden Lehrkräfte, Beratungsteam, Schulleitung und Eltern durch eine sonderpädagogische Fachkraft beraten und unterstützt, wenn es um die Begleitung einzelner Schülerinnen und Schüler geht. Diese Unterstützung erstreckte sich von einer gezielten Diagnose über Gespräche mit Eltern und Lehrkräften bis hin zu Erstellung individueller Förderpläne. Bedauerlicherweise wird der NRW-weite Modellversuch 'KsF' nicht fortgeführt, so dass es nun um die Entwicklung alternativer Konzepte für interdisziplinäre Zusammenarbeit im Bereich der Inklusion auf kommunaler und regionaler Ebene gehen muss. In diesem Zusammenhang arbeitet das GSG mit an der Konzeption eines 'kommunalen Unterstützungszentrums Inklusion' (KUZI). Diese Einrichtung soll zum einen alle im Bereich der Inklusion aktiven Personen und Institutionen unterstützen und zum anderen aber auch einen so genannten 'schulischen Lernort' darstellen, in dem Schülerinnen und Schüler aus Regelschulen temporär in besonderer Weise unterstützt werden. Der Rat der Stadt Pulheim hat das entsprechende Rahmenkonzept bereits gebilligt, so dass es nun um die Umsetzung gehen wird (Stand: April 2016). Auf kommunaler Ebene ist das Geschwister-Scholl-Gymnasium zudem an der „Fachgruppe Inklusion“ aktiv beteiligt, um eine interdisziplinäre, schulformübergreifende und regionale Vernetzung zu gestalten.
Lerngruppen im Gemeinsamen Lernen (GL) seit dem Schuljahr 2013/2014
Nach Beschluss der Schulkonferenz vom 6. Dezember 2012 ist am Geschwister-Scholl-Gymnasium zum Schuljahr 2013/2014 erstmals eine integrative Lerngruppe eingerichtet worden, in der Kinder mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf gemeinsam lernen. Das GSG sorgen wir dafür, dass für die Klassen im Gemeinsamen Lernen besondere Rahmenbedingungen gelten. Zum wird die Zahl der Schülerinnen und Schüler nach Möglichkeit auf insgesamt ca. 25 begrenzt, darunter etwa vier bis sechs Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf bzw. solche, die zieldifferent (also nicht nach den gymnasialen Richtlinien) gefördert werden. Über weite Strecken des Wochenstundenplans betreuen jeweils zwei Lehrkräfte die Klassen. Jeweils eine sonderpädagogische Lehrkraft unterstützt das Klassenteam in der pädagogischen Arbeit. Von besonderer Bedeutung für gute Lernbedingungen im gemeinsamen Unterricht ist die Kooperation der Lehrkräfte untereinander. Hierzu stehen den Teams der integrativen Klassen im Stundenplan festgelegte Teamzeiten zur Verfügung. Zudem wird die Arbeit in den Klassen des Gemeinsamen Lernens durch das Beratungsteam der Schule sowie durch eine Mitarbeiterin der Regionalen Schulberatung Rhein-Erft unterstützt.
Die Arbeit der Offenen Expertengruppe
Seit April 2012 gibt es am GSG die so genannte Offene Expertengruppe Inklusion am GSG. Sie besteht aus Schüler/innen, Eltern, Lehrkräften, pädagogischen Mitarbeiter/innen, externen Expeter/innen sowie dem Schulleiter. Die Gruppe arbeitet unter anderem am Aufbau eines Netzwerks mit Personen, Institutionen und Schulen, die bereits über Erfahrungen im Bereich der inklusiven Schule verfügen. Die Mitglieder der Offenen Expertengruppe organisieren Informationsveranstaltungen und Fortbildungen, führen Gespräche mit den Verantwortlichen in der Schulaufsicht und beim Schulträger, besuchen inklusiv arbeitende Schulen und bereiten Entscheidungen der schulischen Gremien vor. Nachdem die Entscheidung zur Einrichtung integrativer Klassen im Herbst 2012 getroffen wurde, besteht das Ziel der Arbeit der Offenen Expertengruppe vor allem darin, innerhalb der Schulgemeinschaft einen möglichst breit angelegten Diskus über die Herausforderungen, die Chance und die Schwierigkeiten inklusiver Bildung zu führen und an der Schule einen von Offenheit, Neugier und Achtsamkeit geprägten Umgang mit Vielfalt zu praktizieren. "GSG Kino der Vielfalt", Flashmobs, die Arbeit mit dem Index für Inklusion in den unterschiedenen schulischen Gruppen und Gremien sowie die Erarbeitung einer Unterrichtsreihe zum Thema Inklusion gehören mittlerweile zu den Aufgaben der Expertengruppe. Informationen und Materialien zur Unterrichtsreihe können Sie unter "Links und Downloads, Literaturempfehlungen" als pdf-Datei herunterladen.
Nachteilsausgleich als Instrument der inklusiven Schule
Im Zuge der Inklusion erhalten die Regelungen zum so genannten Nachteilsausgleich zunehmende Bedeutung. Bei Klassenarbeiten und Prüfungen können unter bestimmten Voraussetzungen Maßnahmen ergriffen werden, die Nachteile einzelner Schülerinnen und Schüler ausgleichen (z. B. Verlängerung der Arbeitszeit). Voraussetzung sind ein anerkannter sonderpädagogischer Förderbedarf oder eine medizinische Diagnose. Ein Nachteilsausgleich bezieht sich immer nur auf die Rahmenbedingungen von Prüfungen, nicht jedoch auf die Leistungsanforderungen an sich. Am Geschwister-Scholl-Gymnasium ist ein Leitfaden für Eltern, Lehrkräfte und Schüler_innen erarbeitet worden, der Auskunft gibt zu allen wesentlichen Fragen rund um das Thema Nachteilsausgleich. Nachzulesen ist dort, wer das Recht auf Nachteilsausgleich hat, worin dieser bestehen kann, wie er beantragt wird und wer in der Schule für die Genehmigung zuständig ist. Der Leitfaden zum Nachteilsausgleich kann von der Homepage der Schule als pdf-Datei heruntergeladen werden. Bitte nutzen Sie dazu diesen Link.
Auszeichnung mit dem Jakob Muth - Preis 2016
Am GSG ist uns bewusst, dass wir die inklusiven Ziele noch längst nicht erreicht haben. Wir sind jedoch als Schulgemeinschaft stolz, 2016 mit dem Jakob Muth - Preis für inklusive Schulentwicklung ausgezeichnet worden zu sein. Dieser Preis gibt uns Mut und Zuversicht, den Weg hin zu einer inklusiven Schule weiter zu beschreiten und dabei die noch unbeantworteten Fragen der Inklusion an einem Gymnasium mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen verantwortungsvoll weiter gestalten zu können. Den Film, der anlässlich der Preisverleihung über die pädagogische Arbeit am GSG entstanden ist, können Sie sich auf Youtube anschauen. Bitte folgen Sie dazu diesem Link.
Grundlage: Die UN-Behindertenrechtskonvention
Die Bundesrepublik Deutschland hat am 26. März 2009 die so genannte UN-Behindertenrechtskonvention (auch: Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) ratifiziert. Bis Ende 2010 hatten weltweit 155 Staaten sowie die Europäische Union dieses Abkommen unterzeichnet. Diese Staaten verpflichten sich mit der Ratifizierung, allen Menschen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auf allen Ebenen und in vollem Umfang zu ermöglichen. Diese Verpflichtung erstreckt sich mehr wie bisher darauf, dass Menschen mit Behinderungen grundsätzlich die gleichen Rechte garantiert werden. Vielmehr fordert die UN-Konvention von den unterzeichnenden Staaten, dass diese auf vielfältige Weise die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen mit Behinderungen ihre Rechte auch tatsächlich wahrnehmen können. Kurz gesagt: bei der Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems geht es um die Umsetzung eines elementaren Menschenrechtes.
Inklusion und Bildung – Begriffsklärungen

Die vier Darstellungen machen deutlich, mit welchen Begriffen die verschiedenen Formen des Umgangs mit Unterschieden in Lerngruppen belegt werden. Derzeit herrscht in Deutschland ein Schulsystem vor, in dem Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf zumeist exkludiert werden, das heißt nicht in Regelschulen beschult werden. Schon seit vielen Jahren praktizieren Grundschulen, aber auch Haupt- und Gesamtschulen Modelle der Integration, bei denen eine kleine Gruppe von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam mit einer „normalen“ Lerngruppe unterrichtet wird, wobei zumindest phasenweise die Gruppen voneinander getrennt betreut werden. In der inklusiven Schule ist auch diese Trennung aufgehoben. Hier werden alle Kinder und Jugendliche je nach ihren individuellen Möglichkeiten und Grenzen gefördert und betreut. In einem umfassenden Sinne bedeutet Inklusion aber nicht nur das gemeinsame Lernen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen. Inklusion schließt vielmehr alle möglichen Ausprägungen von Verschiedenenartig ein, so z. B. ethnische Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, soziales Milieu, Leistungsfähigkeit, Sprache usw. Anders ausgedrückt heißt Leben und Lernen in einer inklusiven Schule, die Verschiedenartigkeit der Menschen nicht als Hindernis, sondern als Chance für die jeweils optimale Ausprägung der individuellen Kompetenzen zu begreifen.
Inklusion und Bildung in Deutschland - Allgemeines
Die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland hat vor allem für das Bildungssystem weit reichende Folgen. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat im Februar 2011 einen Entwurf zur Weiterentwicklung ihrer Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung von 1994 beschlossen. Dieser Entwurf trägt nun die Überschrift „Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen und soll Leitschnur für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention werden. Wurden bislang Kinder mit besonderem Förderbedarf in aller Regel in besonderen Schulen (so genannten Förderschulen) beschult, so besteht künftig für alle Schülerinnen und Schüler das Recht darauf, in eine allgemeinbildende Schule zu gehen. Dies erfordert ein grundlegendes Umdenken in allen Schulen und Schulformen. Denn während bislang unter dem Begriff der Integration Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen im Rahmen der Möglichkeiten in ein bestehendes System einbezogen wurden, verlangt eine konsequent inklusive Bildung einen umfassenden Reformprozess im bestehenden Schulsystem, damit das Recht aller Schülerinnen und Schüler auf gemeinsame Bildung und Erziehung auch wirklich umgesetzt werden kann. Künftig wird zu fragen sein, wie die Schule den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen angepasst werden kann und nicht, wie Schülerinnen und Schüler einzelnen Schulformen bestmöglich zugeordnet werden können.
Derzeit wird in Deutschland der überwiegende Anteil von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf noch immer an Förderschulen betreut, unterrichtet und gefördert. Diese Förderschulen sind in der Regel auf bestimmte Schwerpunkte spezialisiert, so etwa für soziale und emotionale Entwicklung, auf die Förderschwerpunkte Lernen bzw. Sprache, für geistige Entwicklung, für körperliche und motorische Entwicklung , für Sehen, Hören etc. Während im Grundschulalter mittlerweile fast jedes zweite Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Regelschule besucht, liegt der Anteil in den Schulformen Realschule und Gymnasium nur bei ca. 10 Prozent. Ziel der Entwicklung im deutschen Bildungssystem ist es, den Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen, die auf Regelschulen gehen, von derzeit 20 auf 80 Prozent zu steigern.
Inklusion und Bildung in Deutschland – Realität und Perspektiven
Der Kölner Bildungsforscher und Erziehungswissenschaftler Kersten Reich kritisiert in seinem Buch „Inklusion und Bildungsgerechtigkeit“, dass im deutschen Bildungssystem derzeit noch viele Faktoren die Umsetzung der UN-Behindertenkonvention massiv behindern und damit die Rechte von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen nur unzureichend umgesetzt werden. Reich nennt dabei die folgenden Defizite:
- Die frühe Selektion (Aussonderung) von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen.
- Das auf Ziffernnoten basierende System von Leistungsbewertung, das die unterschiedlichen Voraussetzungen und Entwicklungswege von Kindern und Jugendlichen weitgehend unberücksichtigt lässt.
- Die Praxis des „Abschulens“ im mehrgliedrigen Schulsystem.
- Eine vielfach erst zu spät einsetzende Förderung von Kindern und Jugendlichen.
- Die Stofflastigkeit und Zeitknappheit im konventionellen Schulsystem.
- Die häufig unzureichende materielle und personelle Ausstattung von Schulen und die in Deutschland im OECD-Vergleich viel zu geringen Ausgaben für Bildung.
- Die kaum vorhandene Vernetzung zwischen Sonderpädagogik und allgemeiner Schulpädagogik.
Ines Boban und Andreas Hinz haben mit dem Index für Inklusion ein umfangreiches und praxisnahes Kompendium für die Entwicklung inklusiver Schulen vorgelegt (s. Downloads, Links, Literaturempfehlungen). Der Index für Inklusion ist eine Adaption der englischsprachigen Ausgabe von Tony Booth und Mel Ainscow, die speziell auf die Situation im deutschen Schulsystem bezogen ist. Das Werk enthält wertvolle Hinweise für den gesamten Prozess auf dem Weg hin zu einer inklusiven Schule, angefangen von der Analyse des Status Quo über den Entwurf eines inklusiven Schulprogramms bis hin zu konkreten Schritten der Umsetzung.
Gymnasium und Inklusion – ein Widerspruch in sich?
Dass viele Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen an Regelschulen insgesamt besser gefördert werden, belegen zahlreiche nationale und internationale Studien. So kommt Klaus Klemm in seiner Studie „Sonderweg Förderschulen – hoher Einsatz, wenig Perspektiven zu dem folgenden Ergebnis: „Kinder mit besonderem Förderbedarf, die im ... Gemeinsamen Unterricht mit Kindern ohne Förderbedarf lernen und leben, machen im Vergleich deutlich bessere Lern- und Entwicklungsfortschritte. Zudem profitieren auch die Kinder ohne Förderbedarf vom Gemeinsamen Unterricht, indem sie höhere soziale Kompetenzen entwickeln, während sich ihre fachbezogenen Schulleistungen nicht von den Leistungen der Schülerinnen und Schüler in anderen Klassen unterscheiden.“ (Klaus Klemm: Sonderweg Förderschulen. Hoher Einsatz, wenig Perspektiven, S. 4). Gemeinsamer Unterricht von Kindern mit und ohne besonderen Förderbedarf (GU) gibt es mittlerweile an vielen Grundschulen, an einigen Gesamtschulen und teilweise auch an Hauptschulen. Mit der Einführung des Rechtsanspruchs zum Besuch einer Regelschule auch für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen bzw. Beeinträchtigungen geraten nun auch die übrigen Schulformen in den Blick und müssen sich den Anforderungen einer inklusiven Pädagogik stellen. Angesichts der Tatsache, dass das dreigliedrige Schulsystem in Deutschland auf der Annahme beruht, man könne Kinder am Ende des 4. Schuljahres nach ihren kognitiven Fähigkeiten bestimmten Schulformen zuordnen und auf diesem Wege homogene Lerngruppen bilden, sind Widersprüche und Irritationen unausweichlich. Wie wird es möglich sein, Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf in einer Schulform zu fördern, in der die Bewertung von Leistungen auf dem Prinzip der Selektion beruht, in der für die Schülerinnen und Schüler ohne besonderen Förderbedarf die erfolgreiche Bildungskarriere vom Erbringen der entsprechenden Leistungen abhängt und in der bei Nichterbringen dieser Leistungen häufig noch der Wechsel zu einer anderen Schulform droht? Wissenschaftliche Untersuchungen weisen gleichzeitig darauf hin, dass Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf gerade an Gymnasien besonders gut gefördert werden können, vorausgesetzt das notwendige Fachpersonal steht in ausreichender Zahl zur Verfügung. Grund hierfür ist unter anderem die Tatsache, dass Schülerinnen und Schüler an Gymnasien häufig über besonders positiv ausgeprägte Sozialkompetenzen verfügen, die als wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Inklusion in heterogenen Lerngruppen gelten. Wichtig aber ist auch der Hinweis darauf, dass durch veränderte Lernformen, durch individuelle Förderung und durch gezielte Krisenintervention in einem inklusiv arbeitenden Gymnasium letztlich alle Schülerinnen und Schüler profitieren können. Insbesondere die Kinder und Jugendlichen, die vom so genannten „drop out“ (d. h. dem Abbrechen der gymnasialen Laufbahn) bedroht sind, können in einer inklusiven Schule besser aufgefangen und früher gefördert werden, zumal schulisches Versagen gerade in den kritischen Stufen 7 bis 9 häufig nicht durch unzureichende kognitive Fähigkeiten, sondern durch fehlende Motivation, durch Konflikte und durch individuelle Krisen im Pubertätsalter verursacht sind.
Inklusion an Gymnasien in NRW – die Vorgaben der Landesregierung
Mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz (SCHRÄG) sind seit Ende 2013 nunmehr die rechtlichen Voraussetzungen für schulische Inklusion in NRW geregelt. Danach gibt es ein gesetzlich verankertes Recht auf gemeinsames Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf. Zudem wird Schritt für Schritt die Etikettierung von Schülerinnen und Schülern im Bereich der Lern- und Entwicklungsbedarfe (Förderschwerpunkte Lernen und sozial-emotionale Entwicklung) abgeschafft. Schulen können nun darüber entscheiden, ob sie Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf in Einzelintegration beschulen, oder ob sie unter bestimmten Voraussetzungen integrative Lerngruppen bilden. In diesen integrativen Lerngruppen kann dann auch die Schülerzahl reduziert werden, und zwar abhängig von der Zahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf.
Grundsätzlich besteht weiterhin der Unterschied zwischen zielgleicher und zieldifferenter Förderung.
- Zieldifferente Förderung: Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf werden in Einzelintegration oder einer integrativen Lerngruppe gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern gefördert, ohne dass in jedem Fall das Erreichen des gymnasialen Abschlusses angestrebt wird. So werden beispielsweise Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen nach dieses Förderschwerpunktes unterrichtet.
- Zielgleiche Förderung: Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf, die eine gymnasiale oder eine eingeschränkte gymnasiale Empfehlung beim Übergang von der Grundschule zur weiter führenden Schule haben, werden nach den Richtlinien des Gymnasiums gefördert. Je nach individuellem Förderbedarf kommen dabei unterschiedliche Formen des Nachteilsausgleichs zum Tragen. Unter bestimmten Voraussetzungen können solche Schülerinnen und Schüler auch nach den Richtlinien der Realschule bzw. der Hauptschule unterrichtet werden mit dem Ziel, einen entsprechenden Abschluss zu erlangen.
Ausblick
Das Ziel einer inklusiven Schule liegt für die meisten Regelschulen noch in weiter Ferne. Dies gilt sicherlich auch für das Geschwister-Scholl-Gymnasium. Nimmt man den Begriff der Inklusion in seiner umfassenden Bedeutung ernst, dann wird der Weg hin zu einem inklusiven Bildungssystem mittelfristig tief greifende Veränderungen unausweichlich machen. Auf den Prüfstand werden die gewohnten Formen der Leistungsüberprüfung und –bewertung kommen, die Einteilung von Schülerinnen und Schüler in unterschiedliche Schulformen und in altershomogene Lerngruppe („Klassen“), die bislang noch weitgehend an Fachinhalten („Stoffen“) orientierten Curricula und Lehrpläne und schließlich auch die gewohnten Unterrichtsformen.
In einer inklusiven Schule lernt nicht jedes Mitglied einer Lerngruppe die gleichen Inhalte mit den gleichen Methoden zur gleichen Zeit im gleichen Tempo. In einer inklusiven Schule ist das Lernen vielmehr in hohem Maße individualisiert, ohne dass dabei der Erwerb sozialer Kompetenzen vernachlässigt würde. Ziel ist dabei die bestmögliche Förderung der Begabungen und Kompetenzen eines jeden Kindes bzw. eines jeden Jugendlichen, um für alle eine möglichst umfassende Teilhabe an der Gesellschaft und an der Lebens- und Arbeitswelt zu gewährleisten.
In idealer Weise bzw. in Reinform werden diese Ziele wohl kaum erreicht werden können. Wieweit die einzelne Schule und damit auch das Geschwister-Scholl-Gymnasium auf diesem Weg voran kommt, hangt von der Unterstützung durch die Schulbehörde und den Schulträger, von der personellen und sächlichen Ausstattung, von Fortbildungsmöglichkeiten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von der Unterstützung durch externe Experten und nicht zuletzt von der Bereitschaft aller Mitglieder der Schulgemeinschaft ab, sich auf die Herausforderungen inklusiver Bildung einzulassen.
Links und Downloads, Lesetipps und Literaturempfehlungen
A) Allgemeines zum Thema Inklusion
- Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (pdf; externer Link)
- 9. Schulrechtsänderungsgesetz NRW - Link zum NRW Bildungsportal
- Inklusion an Schulen in NRW - Link
- Sonderpädagogische Förderschwerpunkte in NRW. Ein Blick aus der Wissenschaft in die Praxis. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen. 2016
- Inklusion und inklusive Didaktik (Seite der Universität zu Köln, u. a. mit Hinweis auf das Buch von Kersten Reich (Hrsg.) mit einer ausführlichen Darstellung der inklusiven Schulentwicklung am GSG von Dorle Mesch, Andreas Niessen und Jan Springob)
- Ines Boban, Andreas Hinz: Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in der Schule der Vielfalt entwickeln. Halle und Wittenberg: 2003 (pdf; externer Link)
- Bericht über Inklusion in Schulen in Südtirol in der ZEIT - 23 / 2012 (externer Link)
- Tony Booth, Mel Ainscow: Index für Inklusion. Ein Leitfaden für Schulentwicklung. Weinheim 2017: Beltz.
- Inklusion im Ganztag - Informationen der Service-Agentur Ganztägig Lernen NRW
B) Inklusion am GSG
- Andreas Niessen: Inklusive Schulentwicklung am Gymnasium. Beispiele aus der Praxis, Gelingensbedingungen und offene Fragen. In: Die BASS von A bis Z. Erläuterungen und Handlungsempfehlungen für die Schulpraxis in Nordrhein-Westfalen. Heft 8/2017. Ritterbach-Verlag, Frechen.
- Dorle Mesch, Andreas Niessen, Jan Springob: Ein Gymnasium auf dem Weg – Gelingensbedingungen inklusiver Schulentwicklung. In: Kersten Reich (Hrsg.): inklusive Didaktik in der Praxis. Weinheim 2016
- Dorle Mesch, Andreas Niessen, Jan Springob: Ein Gymnasium auf dem Weg – Gelingensbedingungen inklusiver Schulentwicklung. Video-Mitschnitt des Vortrages im Rahmen der Reihe Beltz-Forum / September 2016
- Inklusion am Geschwister-Scholl-Gymnasium - Film aus Anlass der Auszeichnung des GSG mit dem Jakob Muth - Preis 2016
- Integrative Klasse am Geschwister-Scholl-Gymnasium - Zwischenbericht (Kölner Stadtanzeiger vom 12. Februar 2014)
- Zeitschrift Pädagogik, Ausgabe 9 / 2013: Auf dem Weg zu Inklusion, darin: Andreas Niessen: Inklusion als Herausforderung für die Schulentwicklung an einem Gymnasium. Link zum Jahresinhaltsverzeichnis 2013
- Poster Das GSG auf dem Weg zur inklusiven Schule (pdf-Download) - 09-2013
C) Interessante Videos auf Youtube
- Videospot Willkommen (Beispiel für eine Aktion, um auf das Anliegen und die Haltung von Inklusion aufmerksam zu machen)
- Videospot Schulchor - Kunsthochschule für Medien Köln und Verein "mittendrin"
- Videospot Der Vertretungslehrer - Kunsthochschule für Medien Köln und Verein "mittendrin"
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